Noch nicht mal heiße Luft ….

Kimmigs Clavigo in Salzburg als pappnasige Publikumsverarschung

alle Fotos: Salzburger Festspiele - Arno Declair

g.WaSa     -     Dass soo viele Zuschauer soo früh – teils unter lautstarkem Protest – den Saal verließen, habe ich bisher noch bei keiner Aufführung erlebt. Und die alle hatten Recht!

 

 

Natürlich hatte ich das Stück –  „Clavigo“  vom jungen Goethe – im Vorfeld intensiv gelesen, Sekundärliteratur gewälzt und schon mal meine kritische Interpretation des Stücks und seiner Bezüge zum Leben des Autors vorbereitet.

 

Dann hat man vorab erfahren, dass der Regisseur Stephan Kimmig die Geschlechterrollen vertauscht: im Original hat (wie man das bei Goethe halt so kennt) der erfolgreiche Schriftsteller und Höfling Clavigo das bescheidene Mägdlein Marie verlassen. Bei Kimmig ist es der hippe weibliche Medienstar, der den  Schlaffi-Jüngling sitzen lässt: eigentlich eine  - heutzutage zwar naheliegende aber dennoch: - brillante Idee. Also habe ich das Stück unter diesem Aspekt noch mal gelesen und schon mal meinen Kommentar dazu vorformuliert: in Kurzfassung: das hat was, dieses Gender-Swapping!

 

Die Langfassung erspare ich Ihnen. Weil ich Ihnen überhaupt ersparen will, viel über diese Inszenierung zu lesen. Es lohnt nicht! Kimmig hat erst mal sehr viel Goethe-Text gestrichen. Was bei diesem Stückchen ganz und gar kein Fehler ist. Dann hat er seeehr viel Fremd-Text eingefügt. Was grundsätzlich kein Fehler sein muss, hier im konkreten Fall aber katastrophal ist, da öde, albern, unflätig, anmaßend und insgesamt schlicht LANGWEILIG. Selbst die an Jean Ziegler orientierte Philippika gegen unser inhumanes Wirtschaftssystem und den daraus resultierenden Welthunger wird dadurch entwertet, dass sie in weinerlichem Ton von einer naiven Gutmenschin vorgetragen wird. Trotzdem erhält sie kräftigen Zwischenapplaus (den einzigen während des Abends). Da hat sich ein wohlsituiertes Publikum sein gutes Gewissen herbeigeklatscht. Nachher, am Ausgang, hielt ein orientalisch aussehender Bettler seinen Becher hin. Fünf Personen von zwei- bis dreihundert haben was gegeben, in der Summe wohl 8 Euro (Kartenpreis: 11 – 130 Euro ).

 

Und sonst?

 

Das Bühnenbild: ein schlaffer Heißluftballon, der noch nicht mal genug heiße Luft bekommt. Kostüme: irgendwas zwischen Barockperücke und roten Clownsnasen. Die Regie: Gehampel, Gezappel, Gequietsche, Gebrabbel. Publikumsverarschung im Zirkus-Look; gerne als Video anstatt live.  

 

Noch nicht mal die Schauspieler mag man loben. Außer vielleicht Moritz Grove, der den Carlos als cool-nutzenoptimierenden Karriere-Coach gibt. Dagegen die famose Susanne Wolff als Titelheldin: so stelle ich mir die Möchtegern-TV-Sternchen vor, die die Nachmittagsserien bevölkern.

 

Die einzige konstruktive Kritik, die mir zu dem Abend einfällt, geht ans Salzburger Landestheater („Lasst den Kimmig nix mehr inszenieren“ wäre auch noch ’ne Möglichkeit – aber so weit will man ja nicht gehen). Also: Ihr müsst dringend was mit euren Sitzen machen! Gegen das lautstarke Knarren bei jeder kleinsten Bewegung. Für diesen Clavigo lieferte das dauernde Quietschen  (einer bewegt sich immer!) womöglich den angemessenen Begleitsound. Aber wenn ihr mal einen wirklich guten Text, gut inszeniert und gut gesprochen aufführt – eine Horrorvorstellung!

 

Und schließlich: Ab November können Sie das Machwerk im Deutschen Theater Berlin sehen. Sie können allerdings Ihre Zeit auch besser nutzen. Berlin bietet so viele Möglichkeiten.